Es muss ein denkwürdiger Tag gewesen sein im subtropisch warmen Alpenvorland vor fünfzehn Millionen Jahren: ein greller Feuerball erscheint am nordöstlichen Horizont, fünfzig Mal heller als die Sonne. Eine halbe Minute später folgt ein Erdbeben der Stärke 8, anschliessend prasseln für einige Minuten bis zu kopfgrosse Gesteinsstücke nieder, bevor eine Druckwelle die meisten Bäume umwirft. Nach gut neun Minuten ist der Spuk zu Ende. Was war passiert? Süddeutschland wurde von einem eineinhalb Kilometer grossen Asteroiden mit der Energie von 16 Millionen Hiroshima-Bomben getroffen. Den dabei entstandenen Krater nennt man heute das «Nördlinger Ries». Vom damaligen Gesteinsregen zeugt heute in der Region St.Gallen nur noch der «Blockhorizont»: eine dünne Schicht von hellen Gesteinsstücken, die für das geübte Auge an einigen Stellen entlang des Sitter-Ufers erkennbar ist.
Quarz-Kristalle unter Schock
Eine Gruppe von Forschenden, unter anderem der Universitäten Kopenhagen (DK) und Lund (S), des Naturmuseums St.Gallen und des Naturhistorischen Museums Bern, lockte genau dieser sogenannte Blockhorizont vor einigen Jahren in die Nähe von Bernhardzell (SG). «Wir haben Proben entnommen und darin nach geschockten Quarz-Kristallen gesucht» erklärt Sanna Holm-Alwmark von der Universität Kopenhagen. Die Geologin ist Erstautorin einer neuen Studie, die Anfang April in der Fachzeitschrift «Scientific Reports» erschienen ist. Geschockte Quarze entstehen, wenn Gestein einem extrem hohen Druck ausgesetzt wird, wie etwa beim Einschlag eines Asteroiden. Das Forschungsteam um Holm-Alwmark wusste, dass es geschockte Quarze im Blockhorizont gibt, aber eine detaillierte Beschreibung fehlte bisher. Als erstes Ergebnis ihrer Untersuchung führt Holm-Alwmark aus: «Wir konnten feststellen, dass ein Druck von bis zu einer Viertelmillion Atmosphären auf die Quarze eingewirkt hat – in etwa das, was wir erwartet haben».
180 Kilometer weit durch die Luft geschleudert
Überrascht hat Holm-Alwmark aber etwas anderes: «Die Quarze sind alle scharfkantig. Dies deutet darauf hin, dass sie nicht in Flüssen transportiert wurden». Es stelle sich deshalb die Frage, wie die Quarze nach St.Gallen kamen, denn die Gesteinsblöcke des Blockhorizonts wurden wie Kanonenkugeln auf ballistischen Bahnen hierher geschleudert. «Bei den 0.25 Millimeter kleinen Quarzen ist dies aufgrund des Luftwiderstands nicht möglich», führt Holm-Alwmark weiter aus. Die einzige Erklärung sei, dass sie als Teil einer gigantischen Staubwolke abgelagert worden seien, die beim Einschlag aufgewirbelt wurde. «Die Entstehung einer solchen Staubwolke wird in neueren Computer-Simulationen von grossen Asteroiden-Einschlägen vorhergesagt», erklärt die Kopenhager Wissenschaftlerin. Bisher habe man aber noch bei weltweit keinem anderen Krater dieser Grösse die Ausbreitung einer solchen Staubwolke über 180 Kilometer Entfernung nachweisen können.
Entdeckung vor 75 Jahren
Der Blockhorizont in der Ostschweiz wurde 1945 vom Ostschweizer Geologen Franz Hofmann entdeckt und zuerst als vulkanisches Auswurfmaterial, ab 1973 dann als Produkt eines grossen Meteoriteneinschlags, interpretiert. Beda Hofmann, Mitautor der neuen Publikation und Leiter der erdwissenschaftlichen Abteilung des Berner Museums ist Sohn des Entdeckers und freut sich, dass der Aufschluss in Bernhardzell auch über 75 Jahre nach der Entdeckung ein heisses Forschungsobjekt ist. Der Blockhorizont ist der einzige Gesteinsaufschluss in der Schweiz, in welchem die Effekte eines grossen Meteoriteneinschlags sichtbar sind.
Neu im Naturmuseum St. Gallen zu sehen
Neu wird ein Gesteinsblock aus dem Blockhorizont im obersten Stock des Naturmuseums St.Gallen zu sehen sein, wie Matthias Meier, Sammlungskurator des Museums und Mitautor der neuen Studie, erklärt. «Mich fasziniert der Gedanke, dass dieser unscheinbare, faustgrosse Gesteinsblock 180 Kilometer weit durch die Luft geschleudert wurde. Diese unglaublichen Kräfte sind für uns Menschen nur schwer vorstellbar». Der ausgestellte Gesteinsblock ist eine Schenkung von Franz Hofmann. Meier freut sich bereits auf weitere Forschung zum Blockhorizont, denn dieser dürfte mit Sicherheit noch die eine oder andere wissenschaftliche Überraschung enthalten.
Proben in den Ausstellungen des Naturhistorischen Museums Bern
Proben des Blockhorizontes bei St. Gallen sind auch im Naturhistorischen Museums Bern zu sehen: In der Ausstellung «Weltuntergang» steht eine Gruppe von Kalkblöcken aus dem Blockhorizont als Zeugen der unvorstellbaren Energie, die bei Meteoriteneinschlägen freigesetzt wird und zu Katastrophen riesigen Ausmasses führen kann. In der Ausstellung «Steine der Erde» ist ein «Shatter-cone» – eine strahlenförmige Struktur in Kalkstein – ausgestellt, ebenfalls aus dem Blockhorizont. «Shatter-cones» sind einzigartige Strukturen und absolut charakteristisch für Gesteine, welche bei Meteoriteneinschlägen den enormen Kräften von Schockwellen ausgesetzt waren.
Link zur Publikation in «Scientific Reports» (Open Access): www.nature.com/articles/s41598-021-86685-2
Naturmuseum St. Gallen:
Matthias Meier, matthias.meier@naturmuseumsg.ch, Telefon 071 243 40 36.
Naturhistorisches Museum Bern
Beda Hofmann, beda.hofmann@nmbe.ch, Telefon 031 350 72 40